Die Argumente gegen den vegetarischen oder veganen Lebens- und Ernährungsstil sind begrenzt. Eines der beliebtesten Anti-Vegan-Argumente, welches gegen die pflanzliche Ernährung sprechen soll, ist der gute alte Steinzeitmensch. Fleischessen sei natürlich, da der Mensch schon immer Fleisch gegessen hat, Wölfe auch Fleisch essen und der Mensch einfach seit Urzeiten darauf ausgelegt ist, sein Protein vom Tier zu bekommen.

Ok gut, dieses Argument kennen wir alle. Aber was ist eigentlich dran am Steinzeit-Argument? Ob wir Menschen Pflanzen- oder Fleischfresser sind und weshalb wir uns heute nicht mehr mit dem Menschen im Steinzeitalter vergleichen sollten, darum geht es in diesem Beitrag.

Der Mensch als Fleisch(fr)esser

Nehmen wir dieses Steinzeit-Schon-Immer-Kuddelmuddel einmal auseinander und fangen an mit dem ersten Punkt. Der Mensch sei ein reiner Fleischfresser. Zu diesem Punkt gehört übrigens auch der Pseudo-Beleg „Wölfe/Löwen essen ja auch Fleisch“.

Wäre der Mensch tatsächlich ein reiner Fleischfresser, dann würden wir in vielen Punkten eher den sogenannten Carnivoren, wie Wolf und Löwe, ähneln.

Wir könnten große Stücke Fleisch ohne kauen herunterschlingen.

Bei den Fleischfressern (=Carnivoren) beginnt die Verdauung erst im Magen, durch eine besonders starke Magensäure. Wir Menschen verdauen jedoch bereits im Mund, durch das Einspeicheln von Nahrung. Dabei hilft uns ein Enzym, welches Stärke abbaut. Stärke ist, beiläufig bemerkt, nur in Pflanzen und nicht in Fleisch vorhanden.

Wir könnten Vitamin C in unserem Körper selbst herstellen

Ein weiteres Merkmal von Carnivoren ist, dass ihre Körper selbst Vitamin C bilden können. Der Mensch hingegen, ist darauf angewiesen, dieses Vitamin über die Nahrung aufzunehmen. Das weist darauf hin, dass im Laufe der Entwicklung des Menschen, Vitamin C in der Nahrung immer ausreichend vorhanden war. Dementsprechend benötigte der Urzeit-Mensch keine Eigenproduktion von Vitamin C.

Wir können also festhalten: Ein reiner Fleischesser ist der Mensch sicherlich nicht, er ähnelt Wolf oder Löwe dafür zu wenig.

Aber Achtung, ein reiner Pflanzenfresser (sogenannte Herbivoren) sind Menschen vermutlich auch nicht. Am ehesten kann man den Menschen den Allesfressern (Omnivoren) mit starkem Hang zur pflanzlichen Kost zurechnen. Das bedeutet, unsere körperlichen Eigenschaften, darunter Aufbau und Funktionsweise des Gebisses und unseres Verdauungstrakts, erlauben es uns, sowohl tierische als auch pflanzliche Nahrung zu essen.

Ein guter Beleg hierfür ist die notwendige Aufnahme des wichtigen Nährstoffs Vitamin B12, welches in tierischen Produkten vorkommt. Wie das Vitamin C können wir es nicht selbst in unserem Körper herstellen, sondern müssen es durch unsere Nahrung zu uns nehmen. Im Unterschied zu Vitamin C, reichen die Vitamin B12 Speicher aber mehrere Monate bis Jahre für die Versorgung aus. Das kann ein Hinweis darauf sein, dass der Urmensch nur selten Fleisch auf dem Speiseplan hatte.

Der Mensch ist also von Natur aus, kein reiner Fleisch- oder Pflanzenfresser. Er ist ein Allesfresser. Das bedeutet aber auch, dass er von nur einer Sorte Nahrung leben kann, sofern diese alle essenziellen Nährstoffe bietet. Sprich: Die Verfügbarkeit von Nahrung bestimmt die Ernährungsweise.

Ohne Fleisch gäbe es den Menschen nicht

Ja, die Sache mit der Evolution und den Menschen. Die Evolution beschreibt die Veränderung der vererbbaren Merkmale einer Population von Lebewesen von Generation zu Generation. Das Ziel von Lebewesen im Laufe der Evolution ist das Überleben der jeweiligen Spezies. Das heißt, die Lebewesen sind darauf ausgelegt so lange zu überleben, bis sie sich fortgepflanzt haben. Es geht in der Evolution nicht darum, möglichst lange gesund und fit zu leben.

Durch die extreme Anpassungsfähigkeit und die daraus resultierende Evolution des Menschen ist es der Spezies Mensch möglich gewesen, bis jetzt zu überleben. Den Menschen gibt es fast überall auf der Welt, am Nordpol und in der Wüste. Ohne die extreme Anpassungsfähigkeit in der Nahrungsaufnahme wäre das Überleben nicht gesichert gewesen. Ackerbau gab es damals noch nicht, Getreideprodukte in dem Umfang wie jetzt kam erst später dazu.

Vor allem im Winter waren die oft Frühmenschen auf tierische Eiweiße angewiesen. Denn pflanzliche Nahrungsquellen wie Beeren, Nüsse, Wurzeln und Blätter wachsen dann kaum, eine Lagerung war nur bedingt möglich. Es gab also keine andere Möglichkeit zu überleben, als auf Fleisch zurückzugreifen.

Im Norden Europas aßen die Urmenschen vermutlich fast gar kein Gemüse, dafür gab es Tiere wie Wollnashorn und Mufflon auf dem Teller. Im Süden ernährten sich die Neandertaler größtenteils vegan, da die pflanzliche Nahrungsvielfalt gegeben war.

Aber nur weil etwas natürlich ist, heißt das noch lange nicht, dass es eine gesunde Ernährungsform ist. Forscher verglichen fossile Gebisse in ganz Europa miteinander. Je nach verfügbaren Nahrungsmitteln der Urmenschen zeigte sich ein anderes Bild. Vegetarisch/vegan lebenden Neandertaler aus dem Süden waren scheinbar gesünder und schmerzfreier, im Vergleich zu den Fleischfressern im Norden.

Es ist also ziemlich egal, ob es den Menschen ohne Fleisch so in dieser Form gegeben hätte. Nur weil Fleisch das Überleben des Urmenschen gesichert hat, heißt das noch lange nicht, dass das die gesündeste und beste Ernährungsform ist.

Fleisch essen ist natürlich

Fleischesser versuchen bei diesem Argument ihren Konsum durch Tradition zu rechtfertigen. Zum Glück gilt diese Erklärung in keinen anderen Bereichen. Man könnte die Sklaverei, die Benachteiligung von Frauen und alle anderen überwundenen Dinge wieder einführen, wenn es danach ginge.

Heute sind wir keine Höhlenmenschen mehr, wir haben ein moralisches Wertesystem und leben in einer zivilisierten Gesellschaft.  Wir unterscheiden uns vom Steinzeitmenschen: wir putzen unsere Zähne, fahren Auto und benutzen Computer. Das alles ist nicht die Folge einer biologischen Bestimmung, sondern das Ergebnis einer kulturellen Entwicklung.

Was in der Steinzeit so abgegangen ist, haben wir grade beleuchtet. Nun entspricht das nicht mehr unserer heutigen Lebensweise. Wir haben auch im Winter Zugriff auf hunderte Sorten von Pflanzen, Nüssen und Hülsenfrüchten, von denen wir mehr als satt werden können. Obst, Gemüse und Co. liegen in den Supermärkten für uns bereit. Fleisch muss nicht mehr gejagt werden, sondern liegt fertig verpackt und portioniert in der Frischetheke bereit.

So richtig ursprünglich und natürlich ist das jetzt ja auch nicht mehr, oder?

Anders als unsere jagenden und sammelnden Vorfahren, verhungern wir nicht mehr, wenn wir kein Fleisch essen. Es gibt mittlerweile die Landwirtschaft und ausgeklügelte Lagermöglichkeiten.

Hinzu kommt, dass der Mensch immer älter wird. Es geht also nicht mehr um den Erhalt der Spezies durch Fortpflanzung, sondern um möglichst langfristige Gesundheit. Wir sollten also nicht nur die kurzfristige Sättigung durch das Essen betrachten, sondern auch die langfristigen Vor- oder Nachteile der Ernährungsweise. Und in diesen Bereichen bietet die pflanzliche Ernährung einige Vorteile im Vergleich zur misch köstlichen Ernährung.

Fazit

Im Steinzeitalter hätte die vegane Ernährung vielleicht nicht für die Evolution des Menschen funktioniert. Vitamin B12 fehlt und andere Nährstoffe sind nicht so umfangreich enthalten, wie zum Beispiel etwa Omega-3-Fettsäuren, Kalzium und Zink. Aber in der Steinzeit gab es auch noch keine Supermärkte, die das gesamte Jahr alle möglichen Nahrungsmittel und Supplemente anbieten.

Heute herrschen andere Lebensumstände, die Evolution geht weiter. Wir könnten so argumentieren, dass wir uns weiterhin anpassen müssen, um den Klimawandel und andere Umweltprobleme unserer Zeit zu bekämpfen. Hier kann die pflanzliche Ernährung ein Ansatz zur Lösung bieten. Denn in keiner Zeit der Menschheitsgeschichte gab es je einen solch riesigen Fleischkonsum und damit auch den damit verbundenen Ausstoß an Klima-schädigenden Emissionen.

Wir leben in einer zivilisierten Gesellschaft. Wir wissen, dass Tiere wegen der Genussbefriedigung von uns leiden. Wir wissen aber auch, dass wir alle Nährstoffe für ein gesundes Leben, aus Pflanzen und einem ergänzenden Vitamin B12 Supplement erhalten können. Wir sind in der Lage eigene Entscheidungen zu treffen und ethisch handeln zu können. Der Mensch ist ein Allesfresser. Er KANN alles fressen, er muss es aber nicht.